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Eigenmacht kann ins Auge gehen

02.05.2024 Dr. Thomas Dufner

Nächstes Kapitel im Nachbarschaftsstreit zwischen Harzenmoser und Immergrün: Harzenmosers Vierbeiner sorgt für Ärger. Vermieter Immergrün schiesst aber übers Ziel hinaus.

Harzenmoser hatte sich in seiner Wohnung am Gaissberg gut eingelebt. Auch mit dem Nachbarn Hans Immergrün verstand er sich mittlerweile gut. Da lag es auf der Hand, dass Harzenmoser Hans Immergrün wegen einer Vermietung seiner Einliegerwohnung anfragte, als er nach dem Wohnungsbrand in seiner Dachwohnung für die Zeit der Sanierungsarbeiten eine Bleibe suchen musste.

Schnell war man handelseinig geworden. Einzig die Vertragsbestimmung des Katzenliebhabers Hans Immergrün, wonach Harzenmoser seinen Hund Buddy nicht in die Wohnung mitbringen durfte, machte ihm Sorgen. Schlimmstenfalls, dachte Harzenmoser, werde er Buddy einfach für die drei Monate bei seinem Sohn unterbringen. Gesagt, getan.

Harzenmoser taucht unter
Das Mietverhältnis verlief erfreulich, auch die Katzen von Hans Immergrün fanden Gefallen an Harzenmoser und strichen immer wieder um seine Beine, wenn sich die beiden zu einem kurzen Schwatz trafen. Zuerst war es Hans Immergrün gar nicht aufgefallen, dass er Harzenmoser von einem Tag auf den anderen praktisch nicht mehr sah und sich dieser immer sogleich in seine Wohnung verdrückte, wenn er nach Hause kam, meistens eine grosse Sporttasche tragend.

Ab und zu meinte Hans Immergrün ein Knurren und Winseln oder ein leichtes Bellen aus der Einliegerwohnung zu hören. Als auch seine Katzen begannen, einen grossen Bogen um die Wohnungstüre und Harzenmoser zu machen, kam bei Hans Immergrün der Verdacht auf, dass Harzenmoser seinen Hund Buddy in der Wohnung untergebracht haben könnte. Der Verdacht liess ihm keine Ruhe. Er musste Gewissheit haben.

Per Passepartout Zutritt verschafft
Als Harzenmoser wieder einmal mit seiner schwarzen Tasche hastig seine Wohnung verlassen hatte und ausser Sichtweite war, schlich sich Hans Immergrün nach unten und verschaffte sich mit seinem Passepartoutschlüssel, von dem er Harzenmoser nichts gesagt hatte, Zugang zur Einliegerwohnung, um diese zu inspizieren. Was er sah, verursachte jähes Grauen in seinen Augen.

Im Schlafzimmer sah er einen Hundekorb neben dem Bett von Harzenmoser. In der Küche stand ein Fressnapf. Überall in der Wohnung lagen Hundespielsachen herum. Zudem hatte Harzenmoser seine Wäsche auf einem Stewi-Wäscheständer im Wohnzimmer aufgehängt. Das Raumklima war entsprechend feucht und stinkig. In der Wohnung herrschte eine wahre Sauerei mit herumliegenden leeren Pizzaschachteln und Bierdosen.

«Beweissicherung» schoss es Hans Immergrün durch den Kopf und er zückte sein Handy und fotografierte die Wohnung in allen Einzelheiten. Als er zurück in seiner Wohnung die Fotos prüfte, wurde ihm rasch klar, dass er diesen Vertragsbruch von Harzenmoser nicht akzeptieren konnte und sofort handeln musste, um grösseren Schaden an der Wohnung zu verhindern.

«Fristlose Kündigung» war das Zauberwort. Er passte Harzenmoser bei dessen Rückkehr ab und stellte ihn bezüglich des Vertragsbruchs mit der Hundehaltung zur Rede, kündigte den Mietvertrag sogleich fristlos und wies Harzenmoser an, die Wohnung am Folgetag zu räumen und zu verlassen. Harzenmoser verwies als Antwort auf den Unfall seinen Sohns, der die Aufnahme von Buddy in seine Einliegerwohnung notwendig gemacht hätte. Er erwähnte im Weiteren die Menschenrechte, die eine Tierhaltung mitumfassen würden und rief beim Schliessen der Wohnungstüre Hans Immergrün trotzig zu: «Ich bleibe! Es gilt Mietrecht.»

Hans Immergrün liess sich vom Redeschwall von Harzenmoser nicht beeindrucken. Kaum hatte Harzenmoser am nächsten Tag die Wohnung für einen Sparziergang mit Buddy verlassen, liess er die Türschlösser der Einliegerwohnung auswechseln, um Harzenmoser bei dessen Rückkehr den Zugang zur Wohnung zu verwehren. Auch auf inständiges Bitten von Harzenmoser hin liess er sich nicht erweichen.

«Darf der mich aussperren?»
Harzenmoser war baff! Er war sich einiges gewohnt und als Vermieter in Bern auch nicht immer der feinfühligste Mensch gewesen. Doch das ging selbst ihm zu weit. Er brauchte Rat. Als Stockwerkeigentümer war er Mitglied beim HEV Kreuzlingen, da hatte er Anspruch auf eine Gratis-Rechtsauskunft.

So machte er sich mit Buddy auf zur Hauptstrasse 14a, wo er Sektionspräsident Thomas Leu auf der Treppe antraf und mit seinem Schicksal konfrontierte: «Stellen Sie sich vor, der Immergrün hat mich ausgesperrt! Darf der das?» «Kommen Sie herein und erzählen Sie», rief ihm der Thurgauer Leu zu, während er auf dem Absatz kehrtmachte. Nach den Darlegungen von Harzenmoser war HEV-Mann Leu sofort klar, dass das forsche Vorgehen von Hans Immergrün strafrechtlich ein «No-Go» war.

Er klärte Harzenmoser auf, dass er gegen Hans Immergrün Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch, Nötigung und Verletzung des Geheimoder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte stellen könne. Er erläuterte Harzenmoser, dass das Bundesgericht kürzlich im Entscheid 6B_510/2022 entschieden habe, dass der Vermieter, der dem Mieter durch Austauschen der Türschlösser den Zugang zur Wohnung verwehre, den objektiven Straftatbestand der Nötigung erfülle und sich beim Fotografieren des Inneren eines Mietobjekts der Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte schuldig mache. Vom Hausfriedensbruch ganz zu schweigen.

Mündliche Kündigung ist per se nichtig
Weiter führte ihm Leu aus, dass das Vorgehen von Hans Immergrün auch in mietrechtlicher Hinsicht unzulässig sei. Zuerst hätte ihn Hans Immergrün schriftlich abmahnen und zum Wegbringen des Hundes und inskünftig sorgfältigen Gebrauch der Einliegerwohnung auffordern müssen. Nur wenn er das nachfolgend nicht umgesetzt hätte, wäre eine Kündigung möglich gewesen, allerdings nur mit einer Kündigungsfrist von 30 Tagen auf ein Monatsende, nicht aber fristlos (Artikel 257f Obligationenrecht OR).

Überdies sei die mündliche Kündigung nichtig. Der Vermieter müsse immer mit dem amtlichen Formular kündigen. Nichtsdestotrotz empfahl Leu Harzenmoser, das Gespräch mit Hans Immergrün zu suchen. Vielleicht würde er ihn nach Hinweisen auf das strafrechtsrelevante Verhalten wieder in die Wohnung lassen, was letztlich Harzenmoser mehr nützen werde als eine Verurteilung von Hans Immergrün und ein langwieriges Verfahren vor der Mietschlichtungsbehörde und vor Gericht. Das war Musik in den Ohren von Harzenmoser.

Nach kurzem Dank und Gruss machte er sich mit einem noch nie dagewesenen Leuchten in den Augen und raschen Schritten auf den Heimweg, um Hans Immergrün über die Strafbarkeit seines Vorgehens aufzuklären und ihm so richtig den Marsch zu blasen, wenn er nicht einlenken würde.


(Dr. Thomas Dufner, Rechtsanwalt, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht, Rechtskonsulent HEV Thurgau)